Montag, 31. Januar 2011

Rezension: The World Ends With You

Typ: Computerspiel Plattform: Nintendo DS

Die Fakten: Der Teenager Neku findet sich plötzlich in einem bizarren metaphysischen Spiel wieder, bei dem er sich in einer Art Mischung aus Schnitzeljagd und Running Man durch Shibuya (dem Szene-Viertel von Tokyo) schlagen muss. Als größtes Problem erweist sich dabei, dass die Aufgaben nur im Team gelöst werden können – für Neku eine Katastrophe, da er bisher sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hat Kontakt mit anderen Menschen möglichst zu vermeiden. Da aber außer Sieg nur noch der Tod als Option offen steht bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit sich selbst als schlimmstem Feind die Herausforderung anzunehmen.

Das hervorstechendste Merkmal an The World Ends With You ist das ungewöhnliche Szenario, bei dem es sich um so etwas wie eine Mythologie der Jugendkultur handelt. Die Semiotik der Teenager-Subkulturen wird hier völlig unironisch als faktische Realität akzeptiert.
Das betrifft vor allem die Mode und die Formen der Identifikation über sie: Schicke Sportschuhe machen einen in diesem Spiel tatsächlich schneller, während nietenbesetzte Lederarmbänder zu mehr Stärke verhelfen. Jeder Charakter besitzt allerdings einen (im Spielverlauf veränderbaren) Mut-Wert, der bestimmt was für Kleidung er tragen kann. So erhöhen z.B. die meisten Klamotten aus der Grufti-Ecke die Leidensfähigkeit extrem, benötigen aber auch sehr viel Mut, bevor man sich damit auf die Straße traut.
Dazu kommt, dass in den verschiedenen Gebieten Shibuyas unterschiedliche Marken mehr oder weniger angesagt sind, was ebenfalls wieder Auswirkungen auf die Effekte der Kleidung hat. Das ist allerdings nicht statisch, denn man kann (und sollte) sich auch als Trendsetter betätigen - je aktiver man in einem Gebiet ist, desto mehr steigt dort die Beliebtheit der Marken, mit denen die Spielfigur ausgestattet ist.

Die Akribie, mit der dieser wichtige, aber nichts desto trotz untergeordnete Aspekt des Spiels umgesetzt ist zeigt, wie stringent das ganze Konzept aufgebaut ist. Teenager-Alltag als Abenteuer inszeniert steckt tatsächlich in allen Facetten des Spiels. Auch des Shoppen selbst hat seine ganz eigenen Herausforderungen, über Cola und Hamburger will die Beziehung zum Teampartner gepflegt werden, und virale SMS ermöglichen es, Meme mit dem Handy direkt in die Köpfe anderer Leute zu pflanzen.

Als Geschichte über die Pubertät fußt das Spiel natürlich auf einem Konflikt mit der Welt der Erwachsenen, hier repräsentiert durch die Reaper, die mysteriösen Veranstalter und Schiedsrichter des Spiels. Diese an und für sich übermächtigen Wesen sind ebenfalls in die labyrinthischen Regeln des Spiels verstrickt, was sie in ihren Handlungsmöglichkeiten extrem einschränkt. Zudem ist das Spiel für sie nur ein Job - anders als bei den Spielern, die buchstäblich um ihr Leben spielen. Einige Reaper sind karrieregeil und hypermotiviert, andere reißen nur ihre Arbeitsstunden runter bis zum Feierabend. Die Welt der Spieler berühren sie nur, ohne sie jemals zu überlappen.
Dazu passt auch, dass viele Aufgaben sinnlos erscheinen oder schlicht pure Schikane sind. Nach jedem gelösten Problem erhält man auch ein Zeugnis, das die Leistung auf verschiedenen Gebieten bewertet. Die finale Runde des Spiels ist dann schließlich der große Abschlusstest, bei dem man versuchen kann seine individuelle Freiheit zurück zu gewinnen.


Was mich begeistert: The World Ends With You ist ein kleines, aber sehr feines Spiel, das momentan ganz schön viel von meiner Freizeit frisst. Schuld daran ist vor allem die packende Geschichte des Spiels, denn trotz seiner starken simulativen Elemente wartet TWEWY nämlich mit einem mächtigen Plot auf. Das Anders-Shibuya ist mit einer großen Anzahl vielschichtiger Charaktere bevölkert, von denen viele im Spielverlauf tiefgehende Veränderungen durchmachen, wie es auch bei einer Story über die Pubertät sein sollte. Sie wird über exzellent geschriebene Dialoge erzählt, die allerdings in eine heftige Portion Jugendslang verpackt sind (“Wassap dawg?“).

Nekus Auseinandersetzung mit dem Spiel, den ungeliebten Teamkollegen und ultimativ auch mit sich selbst ist glaubwürdig und ansprechend inszeniert. Statt eines platten Moments der Erkenntnis inklusive Monolog zum Publikum gibt es eine Serie von subtilen Gesten und Anmerkungen, die komplexe innere Vorgänge widerspiegeln.

Dass solch tiefgreifende Änderungen der Persönlichkeit möglich sind kommt dabei daher, dass das Spiel nicht mit schweren Themen und harten Momenten geizt. Der Prozess des Erwachsenwerdens ist eng an die Erfahrung des Verlusts gekoppelt, und TWEWY macht konsequenterweise immer wieder darauf aufmerksam, dass alles seinen Preis hat, jede Aktion eine Reaktion nach sich zieht und das Leben nicht immer fair ist. Nekus fixe Idee, auch ohne andere Menschen durchs Leben kommen zu können, wird deshalb als pure Naivität entlarvt, was er mit dem Verlust seiner Unschuld bezahlt.

Nicht zuletzt begeistert mich aber auch einfach das Szenario an sich, in dem ich viel von meiner eigenen Teenagerzeit wiedererkenne. Diese Art, die Sichtweise von Heranwachsenden einfach mal ernst zu nehmen, ist erfrischend und hat mir einige neue Perspektiven eröffnet. Zudem ist es auch verblüffend, dass sich auf diese Weise so epische Geschichten erzählen lassen. Bei weiterem Nachdenken erscheint mir das aber auch sehr plausibel, da – auf Grund der früheren Lebenserwartung – unsere ältesten Mythen wohl auch von Personen erdacht wurden, die im fraglichen Alter waren; und die Geschichten von Loki, Seth, Astarte & Co. wirken auch sehr passend, wenn man sich die Protagonisten als 16jährige vorstellt.


Was mich trotzdem stört: TWEWY ist eine störrische Schönheit, die zwar alles elegant, aber nicht immer komfortabel macht. Das Kampfsystem, das mediale Überforderung als Stilmittel einsetzt, nehme ich noch so hin, zumal es sich durch Optionen etwas entschärfen lässt. Bereiche wie das Steigerungssystem der Kampffähigkeiten scheinen mir aber unnötig kompliziert.

Bei den Nebenfiguren ist es leider so, dass einige zu komplex sind, als dass sie in der ihnen zustehenden Screen Time ausreichend beleuchtet werden könnten. Das führt dazu, dass die Story teilweise etwas ausgefranst wirkt. Allerdings wird dadurch die thematische Aussage unterstrichen, dass es kein hundertprozentiges Verständnis zwischen Menschen geben kann und man sich deshalb darauf konzentrieren muss das beste aus dem zu machen, was möglich ist. Ich habe das Spiel aber noch nicht ganz durchgespielt, weswegen ich hier vielleicht noch nicht das ganze Bild kenne.

Auf der spielerischen Ebene kommen leider einige Elemente, allen voran die virale Verbreitung von Memen, sträflich zu kurz. Da ist noch eine Menge brach liegendes Potential, das freilich alleine schon für ein ganz eigenes Spiel genügen und deshalb TWEWY auch überfrachten würde. Trotzdem ist die Mem-Spielerei so nichts halbes und nichts ganzes, und deshalb effektiv nur enttäuschend.

Am problematischsten finde ich aber, dass es keine interaktiven Elemente auf der Plotebene gibt. Der Handlungsverlauf spielt sich leider immer gleich ab, ohne dass man ihn beeinflussen könnte. Das wirkt leider etwas wie „So, alle Mann Klappe halten und hinsetzen! Ich erzähl euch jetzt was über persönliche Entfaltung.“
Da die Geschichte aber wie gesagt ansprechend und mitreißend ist, bin ich allerdings bereit dazu das in Kauf zu nehmen.

Mein Fazit: I'm on fire, baby!

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Genauso ist es. Dabei ist das Thema ja eines der Hauptthemen...
steppenhund - 4. Feb, 17:42

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Zuletzt aktualisiert: 18. Feb, 17:45

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